Influencer als Handelsvertreter · Eine Bewährungsprobe für § 84 HGB

Influencer als Handelsvertreter · Eine Bewährungsprobe für § 84 HGB

von Dr. Lennard Hermann Oonk, (1. Auflage) 2025, 308 Seiten, 50,00 €, Verlag V&R unipress, ISBN: 978-3-8471-1783-4

Das vorliegende Werk wurde im Sommersemester 2024 von der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover als Dissertation angenommen. Die Promotion wurde mit “magna cum laude” abgeschlossen. Die lesenswerte und praxisbezogene Dissertationsschrift beschäftigt sich eingehend mit der Verortung des Influencer-Marketings in das nationale Vertriebsrecht.

Durch Beschluss vom 14. März 2025 hat der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Vertriebsrecht die Dissertation als förderungswürdig im Sinne von Art. 2, Abs. 1 der Satzung der Gesellschaft anerkannt und einen finanziellen Zuschuss zu den Druckkosten gewährt.

Den nachfolgend zitierten Auszügen aus den Gutachten der Professoren Stephan Meder und Bernd H. Oppermann  ist aus Sicht der DGVR nichts hinzuzufügen:

Auszug aus dem Erstgutachten von Prof. Dr. Stephan Meder:

… Die Arbeit von Oonk zielt auf den Nachweis, dass der “Handelsvertreter“ (§§ 84-92C HGB) ein geeignetes Regelungskonzept bildet, um die neuartige Berufsgruppe von gewerblichen Influencern interessengerecht zu erfassen. Das seit dem 19. Jahrhundert gewohnheitsrechtlich anerkannte Institut könne Influencern, die mit Marketingmaßnahmen betraut sind, einen notwendigen Schutz bieten, sobald etwa das beauftragende Unternehmen fehlerhafte Provisionsabrechnungen stellt oder vom Influencer begehrte Ausgleichsansprüche in Streit geraten.

Ungeachtet abweichender Ansichten in der Literatur zeige bereits die Grundnorm des Handelsvertreters nach § 84 Abs. 1 S. 1 HGB, dass Influencer rechtlich nicht anders behandelt werden dürfen als herkömmliche Handelsvertreter der ‚analogen‘ Vertriebswelt. Auch Influencer sind als Selbständige mit der Geschäftsvermittlung für Unternehmen betraut und üben eine vergleichbare Tätigkeit aus. Die technologischen Unterschiede seien für die normative Frage hierbei unerheblich. …

 … In einer guten Einführung, die das soziale Phänomen in den Mittelpunkt stellt, beschreibt der Verf., wie Influencer wegen ihrer Präsenz auf Plattformen zu Meinungsführern werden und einen erheblichen Einfluss auf Kaufentscheidungen ihrer ‚Follower‘ haben können. Der Verf. bleibt jedoch nicht bei einer empirischen Bestandsaufnahme, sondern stellt zugleich die Kriterien in Frage, mit denen eine Person üblicherweise als Influencer wahrgenommen und eingeordnet wird. …

Nachvollziehbar legt Oonk ein besonderes Augenmerk auf die Chancen und Risiken des Influencer-Marketings, insbesondere auf das relativ junge Phänomen sogenannter ,,Fake”-Influencer. Hierdurch kann er den Faden zum Thema des Handelsvertreters nach den §§ 87ff. HGB erneut gut aufnehmen. Denn Influencer, die sich als vermeintliche Werbebotschafter aufschwingen, agieren ohne Betrauung und ohne direkte rechtliche Bindung zu Unternehmen, deren Produkte sie präsentieren. Dies erzeugt womöglich auch Ansprüche der ‚echten‘, d.h. der betrauten Influencer, da ihre Authentizität auf dem Spiel steht und ihre redlichen Empfehlungen durch das angemaßte Geschäftsgebaren der Fake-Influencer beeinträchtigt werden. …

 Im dritten Kapitel erörtert Oonk nach einem kurzen Überblick über den Hintergrund und über die Grundlagen des Handelsvertreterrechts zunächst verschiedene Rechtsformen von Absatzmittlern und grenzt diese vom Handelsvertreter des HGB ab. Damit soll geklärt werden, ob und ggf. inwieweit Influencer auch unter andere Vertragstypen fallen können. Der Verf. erörtert hier insbesondere Arbeitnehmer, Vertragshändler, Kommissionäre, Kommissionsagenten sowie Makler und Handelsmakler in Bezug auf ihre rechtliche Stellung und ihre Funktionen im Vertriebsprozess. Gut gelungen ist die Abgrenzung des Handelsvertreters zum Makler nach BGB und nach HGB. Bereits an dieser Stelle kann Oonk nämlich verdeutlichen, dass der Makler als obligationsloser Geschäftsvermittler dem empirischen Phänomen des Werbe-Influencers grundsätzlich ferner steht als der mit Leistungspflichten belegte Handelsvertreter. …

Weniger gelungen erscheint dagegen die historische Darstellung des Handelsvertreterberufs und die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen seit Inkrafttreten des HGB von 1900. …

Im vierten Kapitel untersucht Oonk die Tatbestandsmerkmale des § 84 HGB. Dabei geht er der Frage nach, ob sich die vielfältigen Tätigkeiten von Influencern unter die Definition des Handelsvertreters nach § 84 HGB bringen lassen. Die vom Verf. hier gepflegte Herangehensweise über eine ‚personale Bestimmung‘, bei der das Berufsbild bzw. der Stand der Handelsvertreter zum Ausgangspunkt genommen wird, erscheint äußerst sinnvoll. …

Eingehend erläutert Oonk sodann die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen des Handelsvertreterverhältnisses, insbesondere die Merkmale der Selbständigkeit, der ständigen Betrauung und die Abschlusstätigkeit im Namen des auftraggebenden Unternehmens. …

Im fünften Kapitel widmet sich Oonk der „Geschäftsvermittlung“. … Im Unterschied zu herkömmlichen Vermittlern ziele aber die von Influencern entfaltete Aktivität nicht darauf ab, physische Produkte unmittelbar selbst zum Kauf anzubieten. Vielmehr würden Influencer mit Beiträgen z.B. auf Instagram überwiegend technische Möglichkeiten bereitstellen, die erst mit einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch User als relevante Vermittlungsleistung im Sinne von § 84 HGB angesehen werden können. In der Praxis erfolge dies hauptsächlich über sog. “Affiliate“-Links, d.h. durch eine unmittelbar verknüpfte Weiterleitung zur Unternehmenswebsite, die Oonk zu Recht in den Mittelpunkt seiner Darstellung rückt.

Besonders gut gelingt in diesem Abschnitt ein vom Verf. angestellter Rechtsvergleich auf Mikroebene. Um zu zeigen, dass der Vermittlungsbegriff im Tatbestand des Handelsvertreters grundsätzlich auch für technische Mittlerleistungen offen ist, erörtert Oonk verschiedensprachliche Interpretationen der europäischen Handelsvertreterrichtlinie. Auch die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH sowie mit der ober- und untergerichtlichen Entscheidungspraxis vermag zu überzeugen. …

Schön ist wiederum der Vergleich zwischen den Interessen von Plattformen und Influencern im Rahmen einer möglichen Anwendbarkeit der Provisions- und Ausgleichsansprüche nach den §§ 87 Abs. 1, 89b HGB. Anhand praktischer Beispiele wie etwa einer Kundenbetreuung durch ,,Question & Answers” kann Oonk gut verdeutlichen, dass der Influencer keinesfalls nur passiver Werbeträger ist, sondern vielmehr eine für den Handelsvertreter des HGB vorausgesetzte ,,aktive Tätigkeit“ ausübt.

Überzeugend ist ferner die Auseinandersetzung mit Stimmen in der Literatur, die beim sog. Affiliate-Marketing nach Verlinkungsmethoden differenzieren und nur einige Methoden als ,,Geschäftsvermittlung” im Sinne von § 84 Abs. 1 HGB gelten lassen wollen. Oonk kritisiert diese technische Differenzierung schon auf Tatbestandsseite und schlägt stattdessen vor, dass u. a. die Frage nach einer ,,Zurückführung auf konkrete Geschäftsabschlüsse“ interessengerechter erst auf der ,,Rechtsfolgenseite“, nämlich bei § 87 Abs. 1 S. 1 HGB, zu klären sei.

Im sechsten Kapitel widmet sich Oonk praktischen Implikationen und rechtlichen Herausforderungen, die sich aus einer Zusammenarbeit mit Influencern ergeben. Eingehend werden hier verschiedene Kooperationsphasen zwischen Influencern und Unternehmen behandelt und mögliche Konfliktherde identifiziert. In zeitlicher Hinsicht umfasst die Kooperation ein großes Spektrum: vom Abschluss des Handelsvertretervertrags über rechtserhebliche Ereignisse während und nach der Vertragslaufzeit bis zur Haftung des Unternehmers für Handlungen des Handelsvertreters.

Zutreffende Kritik übt Oonk hier einerseits an der Geschäftspraxis mancher Unternehmen, die mit geschickt formulierten Klauseln die Schutzvorschriften der §§ 84 ff. HGB umgehen wollen, sowie andererseits an Influencern, die sich zu ,,gewillkürten“ Handelsvertretern aufschwingen, indem sie über vertragliche Pflichten hinausgehen oder sogar gänzlich ohne Mandat handeln. …

Den größten Teil des Abschnitts bildet indes die Diskussion um das Rechtsfolgenregime des Handelsvertreters nach HGB. Insbesondere die Provisions- und Ausgleichsansprüche gem. §§ 87, 89b HGB und die Mittel zu deren Durchsetzung werden vom Verf. zu Recht am Ausführlichsten erörtert. Erkenntnisreich sind auch die Ausführungen zur Kausalität bei § 87 HGB und zur Frage, welcher Zurechnungszusammenhang zwischen der Tätigkeit des vermittelnden Influencers und einem konkreten Vertragsschluss beim Unternehmen vorauszusetzen ist. Vertretbar will der Verf. hier auf den Einzelfall abstellen und lehnt eine pauschale Lösung ab. …

In einem abschließenden Exkurs beschäftigt sich der Verf. mit dem aktuellen Thema zum Einsatz von sog. Künstlicher Intelligenz bei Marketingstrategien in sozialen Medien. Beleuchtet werden dabei rechtliche Herausforderungen von virtuellen Influencern, deren algorithmisch erzeugten Beiträge eine direkte Zurechnung zu natürlichen Personen nicht mehr erkennen lassen. Oonk diskutiert hier Zukunftsperspektiven, in denen solche Influencer-Bots nicht nur eigenständig Beiträge verfassen, sondern zudem auch lukrative Werbekampagnen abwickeln können. …

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Verf. trotz einiger Schwächen in der Darstellung und Ausführung ein lobenswertes Werk präsentiert Insbesondere gelingt es Oonk, einen wichtigen Beitrag zur Konkretisierung des Handelsvertreterrechts für die neuartigen digitalen Formen des Marketings und des Vertriebs zu leisten. Die eingehende Auseinandersetzung mit Ansätzen aus der Literatur und die umfangreiche Auswertung der Rechtsprechung zeugt dabei von einem vertieften Verständnis der Problemstellung. Auch der empirische Einschlag, der die Arbeit maßgeblich kennzeichnet, fördert wichtige Erkenntnisse für das Institut des Handelsvertreters zu Tage, wenn auch an manchen Stellen statt eines vorschnellen Rekurses auf den Einzelfall ein dogmatischer Lösungsvorschlag wünschenswert gewesen wäre. Insbesondere hätte ein feinerer Typus für die ‚Grundnorm‘ des § 84 Abs. 1 HGB entwickelt werden können, der speziell auf die Formen und Tätigkeiten des Influencer-Berufs abgestimmt ist. …

Auszug aus dem Zweitgutachten von Prof. em. Dr., Dr. h.c. Bernd H. Oppermann, Prof. h.c. (UMCS), LL.M. (UCLA):

Der Verfasser hatte sich mit dem höchst aktuellen Thema aus dem Vertriebsrecht zu befassen. Dabei verfolgt er einen eigenständigen Lösungsansatz mit der Heranziehung des Handelsvertreterrechts. Die Arbeit ist ihm gut, teils sehr gut gelungen. …

In der Sache ist der Ansatz der Dissertationsschrift, gewissen Erscheinungen des Influencer-Wesens bei der Internetvermarktung der gesetzlichen Typisierung und den Lösungen des Handelsvertreterrechts zuzuordnen, überzeugend problematisiert und teils sehr gelungen durchgeführt, wobei der Verfasser mit beeindruckend hoher Konsistenz und Zielstrebigkeit der Untersuchung glänzt. Zwar ist es nicht so, dass noch nie jemand auf den Gedanken gekommen wäre, dass beim Vertrieb eines gewerblich arbeitenden Influencers Grundsätze des Vertriebsrechts und mithin auch der Handelsvertretung als eine der Möglichkeiten in Betracht kommen, dennoch ist ihm die akribische Untersuchung gerade dieses Gesichtspunkts gut gelungen, und in gewisser Weise hat er damit auch eine bestehende Forschungslücke ausgefüllt. Darin ist das wissenschaftlich Neue der Untersuchung zu sehen. …

Der verfasserischen Kernhypothese, dass die gesetzliche Typologie der §§ 84 ff. HGB zusammen mit ihren Neuerungen durch den europäischen und nationalen Gesetzgeber sowie durch die Rechtsprechung ein geeignetes Modell sei, um den von ihm fokussierten Vertriebsbereich des Influencer-Marketings interessengerecht zu erfassen, ist zuzustimmen. … Besonders gut hat mir gefallen, dass die Subsumtion unter die entsprechenden Vorschriften und die hierfür nötigen Differenzierungen der Influencertätigkeit überzeugend gelingt. Auch die Rechtsprechung wird in erfreulicher Weise in den Kapiteln drei und vier berücksichtigt. Insoweit hätte allerdings etwas mehr Instanzrechtsprechung eingearbeitet werden dürfen. Noch besser wird dies im folgenden fünften Kapitel geleistet, welches ungeachtet des etwas unglücklichen … rechtsmethodischen Exkurses ansonsten gut gelungen ist. Hier scheint mir zumindest selektiv die Einarbeitung einzelner Instanzentscheidungen ebenso gelungen wie eine überzeugende Auseinandersetzung mit gegenIäufigen Literaturmeinungen. …

In der Gesamtbeurteilung handelt es sich um eine fleißige und im juristischen Kernbereich sehr gut gelungene rechtswissenschaftliche Begutachtung der ausgewählten Thematik. Dem Autor ist es damit gelungen, der bestehenden rechtswissenschaftlichen Diskussion über eine Einordnung der lnfluencertätigkeit neue Elemente hinzugefügt. … Meine zuvor kenntlich gemachten Einwendungen bilden keinen gravierenden Abstrich von der Qualität der Arbeit.

Anlagen

Buch-Seite des Verlags

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